Begriffe aus dem Strafrecht erklärt

Legalitätsprinzip vs. Opportunitätsprinzip

Inhaltsverzeichnis

Das Legalitätsprinzip und das Opportunitätsprinzip sind zwei zentrale Leitprinzipien der deutschen Strafverfolgung. Sie regeln, wann und wie Staatsanwaltschaften und Strafverfolgungsbehörden tätig werden müssen – und ob sie dies zwingend tun müssen oder ob ihnen ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. Während das Legalitätsprinzip grundsätzlich eine Verfolgungspflicht bei Straftaten normiert, erlaubt das Opportunitätsprinzip in bestimmten Konstellationen, von der Strafverfolgung abzusehen – vor allem bei Bagatelldelikten oder im Bereich des Jugendstrafrechts. In der strafrechtlichen Praxis ist das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Prinzipien ein häufiger Streitpunkt – etwa bei Einstellungsmöglichkeiten, Strafbefehlserlassen, Diversion oder Anklageerhebungen. Die Unterscheidung ist nicht nur von dogmatischer, sondern auch von erheblicher praktischer Relevanz – insbesondere für die Ausgestaltung eines fairen und effektiven Strafverfahrens.

Legalitätsprinzip – Pflicht zur Strafverfolgung

Rechtliche Grundlage: § 152 Abs. 2 StPO

„Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf andere Weise Kenntnis von einer verfolgbaren Straftat erlangt, ist sie verpflichtet, Ermittlungen einzuleiten.“

Kerninhalt

Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Staatsanwaltschaft zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen. Diese Pflicht ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) und stellt sicher, dass:

  • Strafverfolgung nicht willkürlich erfolgt,

  • alle Bürger vor dem Gesetz gleichbehandelt werden,

  • die Staatsanwaltschaft nicht „nach Gutdünken“ entscheidet.

Es ist also nicht erlaubt, aus politischen, persönlichen oder strategischen Gründen von der Verfolgung abzusehen, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Die Staatsanwaltschaft ist „Herrin des Ermittlungsverfahrens“, aber in diesem Punkt gebunden.

 

Opportunitätsprinzip – Ermessensspielraum der Strafverfolgung

Das Opportunitätsprinzip tritt dort in Erscheinung, wo die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit haben, von der Verfolgung einer Straftat abzusehen, obwohl ein Tatverdacht vorliegt. Dies dient vor allem der Verfahrensökonomie und der Flexibilität im Einzelfall.

Typische Anwendungsfälle des Opportunitätsprinzips

Einstellung wegen Geringfügigkeit (§ 153 StPO): Bei sogenannten Bagatelldelikten, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht.

Einstellung mit Auflagen (§ 153a StPO): Wenn das Verfahren gegen Erfüllung bestimmter Auflagen (z. B. Geldzahlung, Sozialstunden) eingestellt wird – insbesondere bei erstmaligen Straftätern.

Jugendstrafrecht (§ 45, § 47 JGG): Die Staatsanwaltschaft kann bei Jugendlichen oder Heranwachsenden im Rahmen des Diversionsverfahrens auf eine förmliche Anklage verzichten, wenn erzieherische Maßnahmen Vorrang haben.

Abgrenzung in der Praxis

Kriterium

Legalitätsprinzip

Opportunitätsprinzip

Rechtsgrundlage

§ 152 Abs. 2 StPO

§§ 153, 153a StPO u.a.

Verfahrensbeginn

Pflicht zur Einleitung

fakultative Einstellung

Ziel

Gleichbehandlung, Willkürverbot

Einzelfallgerechtigkeit, Verfahrensökonomie

Anwendungsbereich

Alle verfolgbaren Straftaten mit hinreichendem Anfangsverdacht

Bagatellen, Diversion, pragmatische Lösungen

Beispiel

Diebstahl wird konsequent verfolgt

Verfahren wegen Ladendiebstahl unter 10 € wird eingestellt

Rechtspolitische Einordnung

Das Legalitätsprinzip ist Ausdruck der Objektivitätspflicht der Strafverfolgungsbehörden und dient der Sicherung des öffentlichen Rechtsfriedens. Das Opportunitätsprinzip erlaubt in geeigneten Fällen jedoch eine flexiblere, gerechtere Lösung, etwa um sozialverträgliche Alternativen zur Anklage zu ermöglichen oder die Justiz zu entlasten. In der modernen Strafrechtspflege wird das Opportunitätsprinzip zunehmend als legitimes Mittel zur Verfahrenssteuerung angesehen – vorausgesetzt, es wird transparent und rechtssicher angewendet. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erkennt diese Differenzierung an, sofern rechtstaatliche Kontrollmechanismen gewährleistet sind.

Fazit

Das Legalitätsprinzip und das Opportunitätsprinzip stehen nicht in Widerspruch zueinander, sondern bilden ein komplementäres System innerhalb der Strafverfolgung. Während das Legalitätsprinzip die Verlässlichkeit und Gleichbehandlung im Strafverfahren sichert, schafft das Opportunitätsprinzip Flexibilität und praktische Handlungsfähigkeit. Entscheidend ist eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall – unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze und gerichtlicher Überprüfbarkeit.

Ihr Ansprechpartner

Marc Wederhake
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

Telefon: 089 / 5880 83670
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