Der Begriff Ökozid setzt sich aus dem griechischen „oikos“ (Haus, Umwelt) und dem lateinischen „caedere“ (töten) zusammen und bedeutet sinngemäß „Tötung der Umwelt“. Er bezeichnet schwere, großflächige oder langfristige Schäden an der Umwelt, die entweder vorsätzlich oder leichtfertig herbeigeführt werden – etwa durch industrielle Aktivitäten, militärische Einsätze oder staatliche Vernachlässigung ökologischer Pflichten. In der internationalen strafrechtlichen Diskussion wird Ökozid zunehmend als möglicher fünfter Kernstraftatbestand neben Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression behandelt – mit dem Ziel, extreme Umweltzerstörung völkerrechtlich strafbar zu machen und individuelle strafrechtliche Verantwortung zu etablieren. Obwohl der Begriff noch nicht im deutschen Strafgesetzbuch verankert ist, wird seine Einführung sowohl auf UN-Ebene als auch in der EU, bei Nichtregierungsorganisationen sowie in nationalen Rechtsreformdebatten kontrovers diskutiert.
Rechtlicher Status: Noch kein anerkannter Straftatbestand
Aktuell ist Ökozid weder im deutschen Strafrecht noch im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) als eigener Straftatbestand kodifiziert. Allerdings existieren erste Initiativen, um Ökozid als eigenständiges internationales Verbrechen zu etablieren.
Ein viel beachteter Entwurf wurde 2021 von der Independent Expert Panel for the Legal Definition of Ecocide vorgestellt. Dort wird Ökozid definiert als:
„Unlawful or wanton acts committed with knowledge that there is a substantial likelihood of severe and either widespread or long-term damage to the environment being caused by those acts.“
Diese Definition stellt eine Balance zwischen Handlungs- und Erfolgsunrecht, Täterwissen und Umfang des Schadens her – und setzt bewusst hohe Hürden, um nicht jedes Umweltvergehen unter Strafe zu stellen.
Beispiele für denkbare Ökozid-Tatbestände
- Großflächige Ölkatastrophen, z. B. Deepwater Horizon (2010)
- Zerstörung von Urwäldern durch Brandrodung (z. B. Amazonas)
- Massive Luft- oder Wasserverschmutzung durch fahrlässige Industriepraktiken
- Zivil-militärische Einsätze, die gezielt Ökosysteme vernichten (z. B. Agent Orange in Vietnam)
- Staatlich tolerierte Umweltverwüstung, etwa durch nicht regulierte Mülldeponien, toxische Abfallentsorgung, Tiefseebergbau
Bezugspunkte zum geltenden Strafrecht in Deutschland – auch wenn Ökozid als Begriff im deutschen Strafrecht noch nicht kodifiziert ist, gibt es zahlreiche umweltstrafrechtliche Vorschriften, die bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe stellen:
Umweltstrafrecht im StGB (Kapitel 29)
- § 324 StGB – Gewässerverunreinigung
- § 325 StGB – Luftverunreinigung
- § 326 StGB – Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen
- § 327 StGB – Bodenverunreinigung
- § 330 StGB – Besonders schwerer Fall der Umweltstraftat
Diese Vorschriften richten sich meist gegen konkrete Einzelhandlungen mit nationalem Bezug, nicht gegen globale oder systematische Umweltzerstörung.
Ordnungswidrigkeitenrecht und Nebenstrafrecht
Zahlreiche Verstöße gegen Umweltstandards werden über das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), das Wasserhaushaltsgesetz (WHG), das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) oder das Naturschutzgesetz (BNatSchG) geahndet – jedoch meist mit Bußgeldern oder betrieblichen Sanktionen, nicht mit Individualstrafe.
Internationale Rechtsentwicklung und Reformvorschläge
Römisches Statut (Art. 5 ff. IStGH)
Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag kennt derzeit vier Hauptverbrechen:
- Völkermord (Art. 6)
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 7)
- Kriegsverbrechen (Art. 8)
- Verbrechen der Aggression (Art. 8bis)
Derzeitige Diskussionen zielen darauf ab, Artikel 5 um ein Verbrechen des Ökozids zu ergänzen. Dafür wäre eine Änderung des Statuts durch die Versammlung der Vertragsstaaten (ASP) erforderlich.
Europäische Union
Die EU-Kommission hat 2023 einen Vorschlag zur Reform der Umweltschutz-Richtlinie 2008/99/EG eingebracht. In der Debatte wird offen diskutiert, ob „Ökozid“ als besonders schweres Umweltverbrechen Eingang in das europäische Strafrecht finden soll.
Nationale Initiativen
Einzelne Länder wie Frankreich, Belgien, Schweden, Vietnam oder Schottland haben bereits begonnen, nationale Konzepte für eine strafrechtliche Ahndung ökologischer Großschäden zu prüfen oder umzusetzen.
Strafrechtliche Herausforderungen
Ein eigenständiger Ökozid-Tatbestand wirft tiefgreifende dogmatische Fragen auf:
- Unbestimmtheit des Tatbestands: Wann ist Umweltzerstörung „widespread“ oder „long-term“?
- Individualverantwortung vs. Systemversagen: Wer ist konkret verantwortlich?
- Beweisführung und Kausalität: Wie wird der Umweltschaden einer Handlung oder Person kausal zugeordnet?
- Verhältnis zu nationalem Umweltrecht: Wie koexistiert der Straftatbestand mit bestehenden verwaltungs- und umweltrechtlichen Regelungen?
Fazit: Ökozid als völkerstrafrechtliches Zukunftsthema
Der Begriff Ökozid steht sinnbildlich für die Weiterentwicklung des Strafrechts im Zeitalter des Klimawandels und der globalen Umweltkrisen. Zwar existiert noch keine kodifizierte Norm, doch die Diskussion auf internationaler und nationaler Ebene schreitet deutlich voran. Der mögliche künftige Straftatbestand hätte nicht nur symbolische, sondern auch praktische Relevanz – zur Abschreckung, zur Rechenschaftspflicht großer Akteure und zum Schutz des Weltklimas als globales Rechtsgut.