Mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Weltraums, internationalen Raumstationen wie der ISS und dem zunehmenden Ausbau von privaten und staatlichen Raumfahrtprogrammen (z. B. NASA, ESA, SpaceX, Blue Origin, CNSA), rücken auch juristische Fragen zur Strafverfolgung im Weltraum in den Fokus. Unter dem Begriff Space Crime werden Straftaten verstanden, die außerhalb des Planeten Erde, etwa auf Raumstationen, an Bord von Raumfahrzeugen oder im Zusammenhang mit Weltraum-Infrastrukturen wie Satelliten, begangen werden. Während viele Szenarien noch spekulativ erscheinen, ist das Thema völkerrechtlich wie nationalstrafrechtlich hochrelevant – insbesondere bei der Frage: Welches Recht gilt im All? Wer ist zuständig? Und wie wird Verantwortung geahndet, wenn ein Verbrechen jenseits der Erdoberfläche geschieht?
Hintergrund: Der erste dokumentierte Fall
Im Jahr 2019 wurde der erste Fall möglicher krimineller Handlung im All öffentlich: Eine US-Astronautin wurde verdächtigt, von der Internationalen Raumstation (ISS) aus unbefugt auf das Bankkonto ihrer Ex-Partnerin zugegriffen zu haben. Die Ermittlungen verliefen zwar im Sande, zeigten aber: Strafrecht im All ist kein Science-Fiction-Thema mehr.
Rechtsquellen: Was gilt im Weltraum?
Weltraumvertrag (Outer Space TreatyOuter Space Treaty) von 1967
Der „Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper“ (kurz: Weltraumvertrag, engl. Outer Space Treaty) bildet die völkerrechtliche Grundlage für Handlungen im Weltraum.
- Art. VIII: Ein Staat, der ein Objekt ins All bringt, behält die Jurisdiktion und Kontrolle über das Objekt sowie über jede Person darin.
- Art. I–IV: Der Weltraum ist friedlich zu nutzen, kein Territorium darf souverän beansprucht werden.
ISS-Abkommen (1998 Intergovernmental Agreement, IGA)
Das multilaterale Abkommen zwischen den USA, Kanada, Japan, der ESA und Russland regelt die Nutzung der Internationalen Raumstation (ISS). Artikel 22 IGA erlaubt jedem Partnerstaat, über seine eigenen Bürger an Bord der ISS strafrechtlich zu verfügen.
Kurz gesagt: Auf der ISS gilt das Recht des jeweiligen Heimatstaats des Astronauten.
Welches Strafrecht gilt im All?
Nationales Strafrecht bei personaler Anknüpfung
Straftaten von Astronauten, die etwa an Bord der ISS begangen werden, unterliegen in der Regel dem Strafrecht des Heimatlandes. Das ergibt sich aus:
- dem ISS-Übereinkommen (IGA 1998)
- dem Personalitätsprinzip im Völkerstrafrecht
Beispiel: Wenn ein deutscher Astronaut an Bord der ISS eine Körperverletzung begeht, findet deutsches Strafrecht Anwendung (§§ 223 ff. StGB).
Flaggenprinzip und Raumfahrzeuge
Auch für unbemannte Raumfahrzeuge oder Satelliten gilt das Flaggenprinzip analog zum Seerecht: Das Strafrecht des registrierenden Staates ist maßgeblich.
Beispiele für denkbare Space Crimes
- Datendiebstahl oder -manipulation über Satelliten (z. B. GPS-Sabotage)
- Vorsätzliche Beschädigung fremder Raumfahrzeuge oder Forschungseinrichtungen
- Cyberangriffe auf Kommunikationssysteme von Raumstationen
- Körperverletzung oder Tötungsdelikte im Kontext extremer Stresssituationen an Bord
- Illegale Nutzung von Ressourcen (z. B. Abbau von Mondgestein ohne Genehmigung)
Besondere strafrechtliche Herausforderungen
Zurechnungsprobleme
Bei autonomen oder KI-gesteuerten Raumsonden stellt sich die Frage: Wer haftet bei Fehlverhalten? Der Hersteller? Der Missionsleiter? Der Staat?
Strafverfolgung und Beweisführung
Wie sichert man Beweise im All? Wie läuft eine Vernehmung auf einer Raumstation? Wie wird Strafvollzug umgesetzt? Bisher gibt es keine Verfahrenserfahrung.
Internationale Kooperation
In Fällen, in denen mehrere Nationen betroffen sind, sind internationale Rechtshilfeabkommen und völkerrechtliche Koordinierung erforderlich – etwa über die UNO, Interpol oder bilaterale Verträge.
Einbindung ins deutsche Strafrecht
Deutsches Strafrecht ist nach § 1 StGB grundsätzlich territorial gebunden. Eine Anwendung auf Taten im All ist nur über folgende Mechanismen möglich:
§ 7 StGB (Personalitätsprinzip): Anwendung bei deutschen Tätern im Ausland (auch im All)
§ 9 StGB (Begehungsortprinzip): Tat gilt auch dort begangen, wo der Erfolg eintritt
§ 6 Nr. 6, 9 StGB (Weltrechtsprinzip): Bei Angriffen auf deutsche Interessen oder völkerrechtlich besonders geschützte Güter (z. B. Weltraumkommunikation)
Zukunftsausblick
Mit Projekten wie dem Artemis-Programm der NASA, kommerziellen Raumstationen, Lunar-Gateways oder Marsmissionen wird das Thema Space Crime mittelfristig immer relevanter.
Denkbar sind in Zukunft:
- Ein internationales Raumstrafrecht
- Weltraumstrafkammern oder spezialisierte UN-Behörden
- Standardisierte Regeln für Beweiserhebung im All
- Erweiterung des Römischen Statuts um „Verbrechen gegen das Weltraumrecht“
Fazit
Space Crime ist längst mehr als ein hypothetisches Szenario: Mit dem Vorstoß in den Weltraum geraten auch Strafrechtsprinzipien an ihre Grenzen. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, frühzeitig einheitliche Regelungen zu schaffen, um Konflikte, Straflosigkeit und rechtliche Unsicherheit zu vermeiden. Das Thema bietet nicht nur juristische, sondern auch völkerrechtliche, ethische und technische Herausforderungen – und gehört bereits jetzt ins Repertoire moderner Strafrechtskanzleien.