Die Begnadigung ist ein außergewöhnlicher Gnadenakt des Staates, durch den eine rechtskräftig verhängte Strafe ganz oder teilweise erlassen, abgemildert oder in eine mildere Sanktion umgewandelt werden kann. Sie steht außerhalb des regulären Rechtswegs und stellt keinen Anspruch des Verurteilten dar, sondern eine freiwillige Entscheidung der zuständigen Staatsgewalt. In Deutschland ist das Gnadenrecht Ausdruck staatlicher Milde – ein Instrument, das Strenge mit Menschlichkeit verbindet.
Was bedeutet Begnadigung im Strafrecht?
Unter einer Begnadigung versteht man den Erlass, die Milderung oder die Umwandlung einer bereits rechtskräftig verhängten Strafe. Sie greift also erst, wenn der gesamte Rechtsweg ausgeschöpft ist – Berufung oder Revision sind dann bereits abgeschlossen. Der Staat kann in besonderen Fällen entscheiden, von der Vollstreckung der Strafe ganz oder teilweise abzusehen.
Rechtsgrundlage für die Begnadigung ist Artikel 60 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG), wonach der Bundespräsident das Gnadenrecht für Straf- und Disziplinarmaßnahmen des Bundes ausübt. Für alle anderen – also die überwiegende Zahl der Fälle – liegt die Zuständigkeit bei den jeweiligen Ländern, konkret bei den Landesregierungen oder Justizministerien.
Begnadigung ist kein Rechtsmittel
Wichtig ist: Die Begnadigung ist kein Rechtsmittel. Sie dient nicht der Korrektur juristischer Fehler, sondern ist eine außerrechtliche Entscheidung aus Gründen der Billigkeit, Menschlichkeit oder besonderen Umstände. Damit unterscheidet sie sich deutlich von gerichtlichen Verfahren wie Berufung oder Wiederaufnahme. Der Staat handelt hier aus Gnade, nicht aus Rechtspflicht.
Arten der Begnadigung
Die Begnadigung kann verschiedene Formen annehmen. Sie reicht vom vollständigen Straferlass bis zur Umwandlung in eine mildere Sanktion. Typische Varianten sind:
- Einzelerlass: Die noch nicht verbüßte Reststrafe wird vollständig erlassen. Der Verurteilte wird vorzeitig aus der Haft entlassen.
- Teilbegnadigung: Nur ein Teil der Strafe – etwa der Rest einer Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe – wird erlassen.
- Umwandlung: Eine Freiheitsstrafe kann beispielsweise in eine Geldstrafe oder Bewährungsstrafe umgewandelt werden.
- Strafaussetzung: Der Vollzug der Strafe wird aufgeschoben oder unter bestimmten Auflagen ausgesetzt, etwa aus gesundheitlichen oder familiären Gründen.
Welche Form gewählt wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls und der Begründung des Gnadengesuchs ab.
Wer kann begnadigen?
In Deutschland ist das Gnadenrecht föderal organisiert:
- Der Bundespräsident ist zuständig für Begnadigungen in Fällen, die vor Bundesgerichten verhandelt wurden (z. B. Staatsschutzdelikte oder Bundesstrafverfahren).
- Die Landesregierungen bzw. die Justizministerien der Länder üben das Gnadenrecht in den übrigen Fällen aus – also für nahezu alle Verurteilungen, die vor Amts- oder Landgerichten ergangen sind.
Das Verfahren wird von den jeweiligen Gnadenstellen in den Justizministerien bearbeitet. Diese prüfen jedes Gesuch individuell und wägen ab, ob besondere Umstände vorliegen, die eine Ausnahme rechtfertigen. In Bayern etwa entscheidet der Bayerische Justizminister im Namen des Freistaates über Begnadigungen.
Voraussetzungen und Gründe für eine Begnadigung
Eine Begnadigung wird nur in Ausnahmefällen gewährt. Typische Gründe sind:
- Humanitäre Gründe: z. B. schwere Krankheit, hohes Alter oder unzumutbare Haftbedingungen.
- Besondere Umstände der Tat oder Person: Reue, Wiedergutmachung oder außergewöhnliche Lebensleistung.
- Langjähriger Strafvollzug: Nach langen Haftzeiten kann der Rest der Strafe aus Gnade erlassen werden, häufig etwa zu Feiertagen wie Weihnachten.
- Soziale Integration: Wenn der Verurteilte bereits erfolgreich in die Gesellschaft zurückgeführt wurde und die Fortsetzung der Strafe keinen Sinn mehr ergibt.
Die Entscheidung erfolgt stets nach Ermessen – es besteht kein Anspruch auf Begnadigung. Selbst ein gut begründetes Gesuch kann abgelehnt werden, wenn die Voraussetzungen nicht als außergewöhnlich genug gelten.
Das Verfahren: Wie stellt man ein Gnadengesuch?
Ein Gnadengesuch kann vom Verurteilten selbst, seinem Rechtsanwalt, Angehörigen oder sogar von Dritten (z. B. Seelsorgern) gestellt werden. Das Gesuch muss schriftlich an die zuständige Behörde – also an das Justizministerium des jeweiligen Bundeslandes oder an das Bundespräsidialamt – gerichtet werden.
Das Verfahren läuft in mehreren Schritten ab:
- Einreichung des Gnadengesuchs: Darin werden die persönlichen, gesundheitlichen oder sozialen Gründe erläutert, die eine Begnadigung rechtfertigen sollen.
- Prüfung durch die Justizbehörden: Staatsanwaltschaft, Vollzugsanstalt und ggf. das Gericht geben Stellungnahmen ab.
- Entscheidung durch die Gnadenstelle: Nach Abwägung aller Gesichtspunkte wird das Gesuch entweder genehmigt oder abgelehnt.
Das Verfahren kann mehrere Monate dauern. Eine Ablehnung ist nicht anfechtbar, da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, die außerhalb des gerichtlichen Rechtsschutzes steht.
Beispiele aus der Praxis
Begnadigungen sind in Deutschland selten und werden meist in besonderen Situationen ausgesprochen. Einige typische Fälle sind:
- Ein älterer, schwerkranker Häftling wird aus humanitären Gründen vorzeitig entlassen.
- Ein Verurteilter, der sich in jahrzehntelanger Haft tadellos verhalten hat, erhält zum Weihnachtsfest eine Begnadigung.
- Eine Mutter kleiner Kinder darf den Rest ihrer Haft in Freiheit verbringen, weil sie sich vollständig resozialisiert hat.
In allen Fällen gilt: Die Begnadigung ist ein Einzelfallakt und kein Präzedenzfall. Sie soll zeigen, dass der Staat trotz des Strafcharakters seines Handelns zu Mitgefühl und Nachsicht fähig ist.
Unterschied zur Amnestie und Rehabilitation
Die Begnadigung wird häufig mit der Amnestie verwechselt, unterscheidet sich jedoch grundlegend. Während die Begnadigung eine individuelle Entscheidung zugunsten einer einzelnen Person ist, betrifft eine Amnestie ganze Gruppen von Verurteilten (z. B. politische Amnestien). Eine Rehabilitation wiederum ist ein gerichtliches Verfahren, das der Aufhebung eines Unrechtsurteils dient – etwa bei Justizirrtümern.
Die Begnadigung bleibt dagegen eine persönliche Ausnahme, die allein auf Gnade beruht, nicht auf rechtlicher Verpflichtung.
Fazit: Begnadigung als Ausdruck staatlicher Menschlichkeit
Die Begnadigung steht symbolisch für das humanitäre Gesicht des Strafrechts. Sie ist kein Freifahrtschein, sondern ein selten gewährter Akt des Vertrauens und der Nachsicht. Durch sie zeigt der Staat, dass Strafe nicht nur Vergeltung ist, sondern auch Verständnis und Vergebung Raum haben können.
Die Kanzlei Wederhake in München berät Mandanten bei der Vorbereitung und Begründung von Gnadengesuchen. Eine fundierte rechtliche Einschätzung, die Darstellung besonderer persönlicher Umstände und die sorgfältige Formulierung des Antrags können die Erfolgschancen erhöhen – auch wenn eine Begnadigung immer eine Ausnahme bleibt. Ziel ist es, in berechtigten Fällen Wege zur Milderung der Strafe oder zur Wiedereingliederung zu eröffnen.
