Das Strafrecht kennt nicht nur Delikte, die durch aktives Handeln begangen werden, sondern auch solche, die durch bloßes Unterlassen strafbar sein können. Diese sogenannten Unterlassungsdelikte spielen insbesondere dann eine Rolle, wenn eine Person eine rechtlich gebotene Handlung unterlässt und dadurch eine Gefahr oder ein Schaden eintritt. Strafverteidiger Marc Wederhake erklärt in diesem Artikel die verschiedenen Formen von Unterlassungsdelikten, deren gesetzliche Grundlagen sowie mögliche Verteidigungsstrategien.
Definition: Was ist ein Unterlassungsdelikt?
Ein Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn eine Person es unterlässt, eine rechtlich gebotene Handlung vorzunehmen, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. Damit unterscheidet sich das Unterlassungsdelikt vom Begehungsdelikt, bei dem eine Handlung aktiv ausgeführt wird.
Die zentralen Merkmale eines Unterlassungsdelikts sind:
- Unterlassene Handlung: Eine Person unterlässt eine gebotene Handlung.
- Rechtspflicht zum Handeln: Die Person hätte eine rechtliche Verpflichtung gehabt, tätig zu werden.
- Kausalität: Das Unterlassen führt zu einer Gefahr oder einem Schaden.
- Tatbestandliche Erfolgszurechnung: Das unterlassene Verhalten wird der Person als tatbestandliche Handlung zugerechnet.
Arten von Unterlassungsdelikten
Das Strafrecht unterscheidet zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten:
1. Echtes Unterlassungsdelikt
Ein echtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn das Gesetz eine bestimmte Handlung ausdrücklich vorschreibt und die Unterlassung dieser Handlung unabhängig von einem eingetretenen Erfolg strafbar ist.
Wichtiges Beispiel:
- Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB): Wer in einer Notsituation nicht hilft, obwohl dies zumutbar wäre, macht sich strafbar.
Strafmaß: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
2. Unechtes Unterlassungsdelikt
Ein unechtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn ein Täter durch seine Garantenstellung verpflichtet wäre, einen Schaden abzuwenden, und diese Verpflichtung nicht erfüllt.
Beispiel:
- Ein Elternteil, das sein Kleinkind verhungern lässt, kann wegen Totschlags durch Unterlassen (§ 13 StGB i.V.m. § 212 StGB) bestraft werden.
Strafmaß: Entspricht dem jeweiligen Begehungsdelikt (z. B. Totschlag, Körperverletzung durch Unterlassen).
Die Bedeutung der Garantenstellung
Ob ein unechtes Unterlassungsdelikt vorliegt, hängt entscheidend von der Garantenstellung des Täters ab. Eine Garantenstellung bedeutet eine besondere Rechtspflicht, für das Wohl einer anderen Person zu sorgen oder eine Gefahr abzuwenden.
Arten der Garantenstellung
- Beschützergarant: Personen, die für das Wohlergehen anderer verantwortlich sind (z. B. Eltern für ihre Kinder, Ärzte für ihre Patienten).
- Überwachergarant: Personen, die Gefahrenquellen beherrschen oder kontrollieren müssen (z. B. Bauleiter für Baustellen, Tierhalter für gefährliche Hunde).
Ohne eine bestehende Garantenstellung kann eine unterlassene Handlung nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Strafmaß und strafrechtliche Konsequenzen
Das Strafmaß für Unterlassungsdelikte richtet sich nach dem jeweiligen Delikt. Während bei echten Unterlassungsdelikten wie der unterlassenen Hilfeleistung eher milde Strafen verhängt werden, können unechte Unterlassungsdelikte zu hohen Freiheitsstrafen führen, wenn sie zu schweren Folgen wie Tod oder erheblicher Körperverletzung führen.
Beispielhafte Strafmaße:
- Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB): Geldstrafe oder bis zu ein Jahr Freiheitsstrafe.
- Totschlag durch Unterlassen (§ 212 StGB i.V.m. § 13 StGB): Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.
- Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 StGB i.V.m. § 13 StGB): Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.
Beispiele für Unterlassungsdelikte aus der Praxis
- Ein Bademeister sieht, wie ein Kind ertrinkt, und unternimmt nichts. → Körperverletzung oder Totschlag durch Unterlassen, da eine Garantenstellung besteht.
- Ein Autofahrer verursacht einen Unfall und verlässt den Unfallort, ohne Erste Hilfe zu leisten. → Unterlassene Hilfeleistung gemäß § 323c StGB.
- Ein Elternteil unterlässt es, seinem Kind dringend benötigte Medikamente zu geben. → Körperverletzung oder sogar Totschlag durch Unterlassen.
Strafverteidigung bei Unterlassungsdelikten
Wer eines Unterlassungsdelikts beschuldigt wird, sollte frühzeitig einen Strafverteidiger konsultieren. Marc Wederhake erläutert mögliche Verteidigungsstrategien:
- Fehlende Garantenstellung: Falls keine Pflicht zur Hilfe bestand, entfällt die Strafbarkeit.
- Fehlende Möglichkeit des Eingreifens: Wenn das Handeln unzumutbar oder unmöglich war, kann eine Verteidigung darauf aufbauen.
- Keine kausale Verbindung: Falls nicht nachweisbar ist, dass das Unterlassen ursächlich für den Schaden war, kann die Anklage angefochten werden.
- Unverhältnismäßige Strafe: In manchen Fällen kann eine milde Sanktion oder eine Verfahrenseinstellung erreicht werden.
Fazit: Wann lohnt sich eine Strafverteidigung?
Unterlassungsdelikte sind komplex und setzen oft eine genaue juristische Prüfung voraus. Gerade bei unechten Unterlassungsdelikten hängt die Strafbarkeit von der Garantenstellung und der Zumutbarkeit der Hilfeleistung ab. Wer sich mit einem solchen Vorwurf konfrontiert sieht, sollte frühzeitig eine fundierte Verteidigungsstrategie mit einem erfahrenen Strafverteidiger wie Marc Wederhake entwickeln, um unangemessene Strafen zu vermeiden oder eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.